Das Miteinander von Sängern und Bläsern
oder: Warum mein Herz nicht voll Freude ist ?!
Kommentare
Pfingstmontag 2004. Ökumenischer Gottesdienst im Freien, im
Stadtpark von Mainz, ca. 600 Menschen, die an diesem Ereignis
teilhaben wollten.
Unser Posaunenchor hatte die musikalische Begleitung an diesem
Vormittag zugesagt, Tage zuvor mehrfach geprobt und sich kurz vor dem
Gottesdienst ordentlich eingeblasen und eingerichtet.
Der Südwestfunk hatte ein Fernsehreporterteam geschickt.
Kurz vor Beginn des Gottesdienstes erschien der im Programmzettel
angekündigte Sänger-Chor zur Stell- und
Träller-Probe, wie einer meiner Bläser
anzüglich bemerkte. Die Gesangsgruppe (mit lateinischem Namen)
sollte in diesem Gottesdienst zwei Stücke vortragen.
Mein Kollege von der singenden Gemeinschaft fand es wohl
entbehrlich, die Bläser oder mich als Posaunenchorleiter zu
begrüßen, sich vorzustellen und letzte Absprachen zu
treffen. (Ich hakte ab: Keine Kinderstube!)
In kürzester Zeit stellte der Dirigent seine Sängerinnen und
Sänger vor unsere Bläsergruppe, obwohl voraussehbar kein
ausreichender Platz an dieser Stelle vorhanden war. Einige
Chormitglieder der hinteren Reihe bedrängten mich, ohne mich
eines Blickes oder Grußes zu würdigen oder 'mal
Entschuldigung zu sagen, während mein Notenständer vor mir
nur mit Mühe mehrfach vom Umfallen gerettet werden konnte.
Ein Bass mit gestutztem Oberlippenbart, der meinen Stuhl und mich
stückchenweise mit seinem verlängerten Rücken in
Richtung meiner Bläser schob, roch nach Veilchen. (Mein zweites
Ich hätte ihm gerne ein solches verpasst.)
Ich versetzte meinen Notenständer erneut und sinnierte dabei
über meine Vorurteile gegenüber der singenden
Zunft. Letztendlich fand ich mich unvermittelt auf Höhe
meiner eigenen Bläser wieder. Die Musiker rutschten ihrerseits
zurück und meckerten vor sich hin. Zum Glück sassen wir
nicht auf einer erhöhten Bühne, sonst hätte die Gefahr
bestanden, dass einige Tenöre hinten runter gefallen
wären.
Das für mich verständliche Gemaule meiner
Bläser aufgrund der Beobachtungen der Szene, brachte mein Blut
zusätzlich in Wallung.
Eine schlechte Stimmung in der Gruppe drückt oft auch beim Blasen
auf die musikalische Qualität der Choräle und
Musikstücke, so fürchtete ich.
Ich versuchte ein beschwichtigendes Lächeln. Schließlich
war mir derartiges unerfreuliches Gebaren von
Sängerkollegen, besonders von denjenigen, denen man ein
höheres sängerisches Niveau nachsagt, auch von anderen
Veranstaltungen bekannt - also nichts Neues für uns
Laienmusiker.
Die Überlegung noch zu intervenieren, ließ ich fallen. Nur
keine schlechte Stimmung bei den Organisatoren aufkommen lassen,
zumal vom Ablauf her keine Zeit verblieb, die Platzfrage
befriedigend zu regeln.
Zu sagen wäre noch: Der Gottesdienst fand allgemein großes
Gefallen und Beachtung in der Zeitung drei Tage darauf. Das
Regionalfernsehen brachte noch am selben Abend einen kurzen Bericht,
die Sänger waren zu sehen und zu hören, wir
Posaunenchormenschen nicht - auch nichts Neues.
Mein Herz ist voll Freude, so das Motto einer Veranstaltungsreihe der Abteilung Kirchenmusik, die für alle Propsteien der EKHN zu unterschiedlichen Terminen angesagt ist. Eine bunt strukturierte Faltkarte, auch Flyer genannt, soll Aufmerksamkeit erzeugen. Gelungen scheint mir persönlich die grafische Darstellung des Notenschlüssels. Angekündigt wird ein Tag zum Mitmachen für singende und blasende Chöre, auch Kinder, Organisten und Dirigenten. Beginnend morgens in so genannten verschiedenen Arbeitsgruppen (Workshops) - gedacht als Fortbildungsangebot für Gruppenleiter, Organisten, Chorleiter und Professionelle. Nachmittagsproben für später eintreffende Nur-Sänger, Bläser und vermutlich der Verbliebenen aus den Vormittagsveranstaltungen zum Kennenlernen der Musik-Literatur, die dann in einem Abschlussgottesdienst am Abend zu Gehör gebracht werden soll. Essen und Trinken ist eingeplant.
Wenige Tage später: Im Anschluss an die Bläserprobe meines
Chores, beim obligatorischen Nachsitzen in lockerer Runde
informierte ich die Chormitglieder von diesem Vorhaben und verteilte
ein paar Faltkarten.
Erste Reaktionen: Amt für Kirchenmusik? - Von denen
hört man doch sonst nie etwas! - Ach, der Kunkel
macht da auch mit! - Nö, mit Sängern hab ich
nichts am Hut! - Das klappt doch nie mit denen
(Sängern)!. - Gibt nur Ärger und Frust! -
Damals in der Frankfurter Festhalle (50 Jahre EKHN) kamen wir
nicht zum Blasen, weil die Chöre unsere Probenzeit 'geklaut'
haben. - Ja, ja, aber in der Pause sind die (Sänger)
dann gekommen und wollten uns die mitgebrachte Fleischwurst
abkaufen. - Auf dem Kirchentag in Frankfurt gab`s im
Waldstadion auch Zoff. Wenn die Dirigenten der Sänger und
Bläser sich untereinander nicht 'grün sind', wie soll dann
das gemeinsame Blasen und Singen klappen. - In Berlin
(Ökum. Kirchentag) haben die (Sänger) auch versucht, die
erste Geige zu spielen. - Die kamen zu spät und wir
mussten in der Hitze auf die warten. - Und im Fernsehen
(ZDF-Übertragung des Abschlussgottesdienstes) waren wir 6000
Bläser überhaupt nicht zu sehen und zu hören. -
Und unser Programm wurde auch gekürzt, weil andere
wichtiger waren! - Erinnert Ihr Euch noch an Pfingsten im
letzten Jahr im Stadtpark, da haben die (Sänger) sich auch breit
gemacht! - Nee, nicht noch'n Termin. - Wir
haben genug Veranstaltungen in diesem Jahr zu beblasen. -
Außerdem bin ich an dem Wochenende auf der Konfirmation
meines Patenkindes.
Ich hatte mit einer normalen Diskussion gerechnet, nicht aber mit
diesen Emotionen und Reaktionen auf wohl nicht
abgearbeitete Erlebnisse und der immer mal wieder
aufflammenden Debatte um den Stellenwert der
Posaunenchöre gegenüber anderen musikalischen Gruppen.
Ich gebe zu, auch meine kritische Meinung zum Thema: Bläser +
Sänger stammt aus vielen kleinen Puzzle-Steinen, über Jahre
gesammelt, die man eigentlich nicht überbewerten
sollte. Beispiel: Auf einer der Landesposaunenratssitzungen in 2004
entschuldigte sich ein Mitglied beim Vorsitzenden für seine
Nichtteilnahme an einem anberaumten Sitzungstermin, dem Sinne nach mit
den Worten: Sie wissen doch, an diesem Wochentag kann ich nie
teilnehmen, da ich an diesen Abenden grundsätzlich mit meinem
Chor probe.
Sicher darf man diese Meinung vertreten und womöglich habe ich
auch kein Recht zur Kritik. Doch meine ich, dass es bei den wenigen
Landesposaunenratsterminen im Jahr möglich sein muss, einen
Probentermin mit Sängerinnen und Sänger einmal zu verlegen
oder sich vertreten zu lassen. Wenn man also Aufgaben im
singenden Bereich als bedeutsamer erachtet als eine
wichtige Aufgabe in einer Bläserorganisation, dann sollte man
sein Mandat im Landesposaunenrat einem anderen
übertragen.
Zurück zur geschilderten Situation damals in meinem Posaunenchor.
Ich versuchte, die Gemüter zu beruhigen. Aber bis auf einen
Bläser, der auch als Organist tätig ist, gab es keinen
befürwortenden Kommentar: Die Frage: Wo mach' ich mein
Kreuz, wenn ich nur am Nachmittag teilnehmen will, konnte ich,
weil überrascht, nicht umgehend beantworten. - Na ja, vielleicht
kommt ein mehr an Interesse noch im Nachgang, dachte ich. - Die
Faltblätter blieben am Ende unseres Zusammensitzens bis auf eines
auf den Tischen liegen.
Jetzt ist es offiziell! - die ersten Termine der Veranstaltungsreihe für die Bezirke Rheinhessen und Südnassau wurden vom Amt für Kirchenmusik abgesagt. Wie man hört, aus Mangel an Anmeldungen. LPW J. Kunkel hatte danach noch einen Versuch gestartet, zumindest den Vormittag für die blasende Zunft zu retten. Aber das gelang ihm leider nicht.
Ich stelle mir nun (als einer der wenigen Angemeldeten) die Frage: Was
könnten Gründe für das Nichtzustandekommen einer
solchen Veranstaltung sein?
Die gemachten schlechten Erfahrungen meiner blasenden
Truppe und meine eigenen (ob objektiv oder nicht) sind
sicherlich nur ein Grund für das Desinteresse meiner Mannschaft.
Ähnliche negative Erlebnisse mit Chordirigenten und Sängern
haben auch Kollegen in meinem Umfeld dazu bewogen, sich nicht
anzumelden. Ich kenne aber Orte, in denen gemeinsame Aktionen von
Sängern mit Bläsern funktionieren. In zwei
Fällen sind die Posaunenchorleiter allerdings selbst Sänger
und Leiter eines Singkreises. Doch auch von dort kamen keine Zusagen.
Es ist sicher nicht verkehrt, die in diesem Jahr durch das Amt
für Kirchenmusik initiierte überregionale
Veranstaltungsreihe als seltenes Angebot einzustufen.
Man kann daher nicht erwarten, dass der Mangel an gemeinsamen
Veranstaltungen für Sänger und Bläser in den letzten
Jahren (Jahrzehnten) plötzlich auf ein außergewöhnlich
positives Echo stößt.
Ein weiterer Grund für die geringe Beachtung meiner Bläser
liegt schlicht und einfach an unserem eigenen, gut gefüllten
Terminplan. Schon im letzten Jahr haben einige meiner Chormitglieder,
die Fülle an Sonderterminen kritisch
angesprochen. Die gemeinsamen
Bläsertreffs der Bezirke
Rheinhessen und Südnassau werden noch als Bereicherung und
Abwechselung angesehen. Die von mir als Posaunenchorleiter
eingebrachten Hinweise und freundliche Aufforderungen z. B. zur
Teilnahme an den Veranstaltungen: Rheinland-Pfalz-Tag,
Bläsermusiken von den Türmen der Oppenheimer
Katharinenkirche, Landesposaunentag Kleinlinden usw. wurden eher in
die Rubrik: zusätzliche Belastung eingereiht.
Auch in diesem Jahr werden unsere Bläsereinsätze wohl die
letztjährige Anzahl erreichen. Für weitere Termine werde ich
meine Chormitglieder nur noch für besonders
attraktive Veranstaltungen begeistern können.
Meine Erfahrung: Sänger und Bläser sind in den meisten
Fällen eigenständige, gewachsene Gruppen, die allenfalls
zusammen einen Gottesdienst gestalten, sonst aber getrennte Wege
gehen. In kleinen Dörfern oder Orten ist dies manchmal
anders. Dass sich Mitglieder von Chören, Bläsergruppen und
Organisten einmal in gemütliche Runde zusammensetzen
und beispielsweise vereint feiern, wäre wünschenswert, ist
aber eher selten.
Der Weg zum gemeinschaftlichen Tun wird oft durch den Stolperstein
Geld für kirchenmusikalische Zwecke gestört. Je
nach Zusammensetzung des Kirchenvorstandes und / oder Beteiligung der
Betroffenen, wird nicht selten heftig gestritten: Wie viel bekommt der
Singkreis, wie viel die Bläser, Flöten, Kinder usw. ? - Ein
gerechtes Verteilen der Mittel, sofern welche zur
Verfügung stehen, ist eine kaum lösbare Aufgabe - Fronten
bilden oder verhärten sich.
Ein gedeihliches Miteinander und Aufeinander zugehen ist nur an
der Basis (in der Gemeinde) möglich, wo sich
Chorleiter, Kantoren und Organisten mit den spezifischen
Eigenheiten, Vorgehensweisen und dem musikalischen
Verständnis der jeweiligen Gruppe auseinander gesetzt haben. Ein
Kirchenmusiker, der alle Sänger, Bläser und andere Musiker
einer Gemeinde leitet und anerkannt ist, tut sich um ein Vielfaches
leichter, die einzelnen Gruppen zu gemeinsamen Aktionen zu
bewegen. Gemeinsamkeiten untereinander zu entdecken, sich gegenseitig
anzuerkennen, die jeweiligen Kräfte so zu bündeln, um zu
einem Gemeinschaftserlebnis zu kommen, ist ein mühsamer Weg, der
aber auch nur über kleine Schritte zum Erfolg führt. Um dies
möglich zu machen, bedarf es allerdings Menschen, die das auch
können und bestimmte Voraussetzungen und menschliche
Qualitäten besitzen.
Das Miteinander von singenden und blasenden Menschen kann nur
funktionieren, wenn über Zeit der Boden dazu
aufbereitet wurde.
Ich befürchte, dass es in der derzeitigen Situation schwierig
ist, im Rahmen einer Tagesveranstaltung, das hehre Ziel eines
Miteinanders zu erreichen.
Die Verantwortlichen im Amt für Kirchenmusik müssen nochmals in ihr Denkzimmer. Allein zu hoffen, dass sich der Erfolg des bestehenden Konzeptes in Form eines Mitmachtages für fast alle kirchenmusikalischen Gruppen doch noch in den anderen Bezirken einstellt, reicht nicht aus. Der sicherlich im Grundsatz löbliche Versuch, die kirchenmusikalischen Kräfte einmal mit Erfolg zu einem gemeinsamen Tun zu bewegen, ist eine echte Aufgabe.
Hans-Georg Lachnitt
(Posaunenchorleiter in Mainz)